Wer beim guten alten Konrad Duden nachschaut, der erhält auf die Frage, was agil bedeutet, folgende Antwort: von grosser Beweglichkeit zeugend, regsam und wendig.
Als Synonyme für den Begriff werden unter anderem energiegeladen, gewandt oder im Schweizerdeutschen auch vif, genannt. Was diese Definition mit moderner Agenturarbeit zu tun hat, lässt sich allenfalls dunkel erahnen. Dass es dabei weniger um die im Duden angeführte alte Dame geht, die trotz ihres hohen Alters sowohl körperlich als auch geistig noch agil ist, dürfte einigermassen klar sein. Aber was steckt denn dann tatsächlich hinter der auf den einschlägigen Businessplattformen so oft zitierten agilen Agentur?
Das agile Manifest
Agilität beschreibt eine spezielle Arbeitsweise, die ursprünglich für die Softwarebranche entwickelt wurde. Bekannt wurden die in diesem Modell beschriebenen Regeln und Arbeitsabläufe unter dem Namen Scrum. Die Vorgehensweise der Software-Entwickler nun mit dem agilen Arbeiten in Agenturen gleichzusetzen ist jedoch nur sehr bedingt möglich. Auch wenn die grundlegenden Ideen gemeinsame Wurzeln aufweisen, so sind jedoch in der täglichen Anwendung der Regeln deutliche Unterschiede zu erkennen.
Als Basis des Modells gilt das agile Manifest, in dem die Leitlinien für moderne Software-Entwicklung definiert wurden. Darin heisst es:
- Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation
- Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen
- Das Reagieren auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines Plans
Begriffe, Chancen und Erwartungen definieren
Um diesen Werte-Kodex auf die Arbeit in einer Agentur zu übertragen, muss zunächst einmal verbindlich für alle Beteiligten geklärt werden, was unter den einzelnen Punkten konkret zu verstehen ist und wie diese neuen Regeln die Arbeit beeinflussen.
Werden keine verbindlichen Vereinbarungen getroffen, besteht die Gefahr, dass es aufgrund von Missverständnissen und Unklarheiten zu erheblichen Problemen kommt.
Wenn zum Beispiel einige Mitarbeitende davon ausgehen, dass auf grundlegende Konzeptionen und Planungen gänzlich verzichtet werden kann, weil das Reagieren auf Veränderungen ja wichtiger ist als das Befolgen eines Plans, ist dies für den Erfolg eines Projektes sicherlich nicht von Vorteil. Aus diesem Grund ist es vor der Umstrukturierung einer Agentur unverzichtbar, allen Beteiligten nicht nur genau zu erklären, worin die Vorteile einer agilen Arbeitsweise liegen, sondern auch, welche Erwartungen und Verpflichtungen damit verbunden sind. Allen Beteiligten muss klar sein, was auf sie zukommt, wenn sie in Zukunft auf eine völlig neue Art und Weise zusammenarbeiten.
Führung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Eine der zentralen Grundlagen der agilen Philosophie ist das auf die Mitarbeiter fokussierte Führungsmodell. Die Rolle einer Führungskraft, wie etwa die eines Projektmanagers, bekommt eine ganz neue Bedeutung. Der Chef ist nicht länger ein gefürchtetes Kontrollorgan, sondern ein echtes Teammitglied, das Kompetenzen und Verantwortung an einzelne Mitarbeiter oder Gruppen delegiert. Die Aufgabe eines solchen Scrum Masters besteht darüber hinaus aber auch darin, bei den einzelnen Teammitgliedern die im agilen System nötige Eigeninitiative zu wecken und zu fördern.
In einer Agentur arbeiten die unterschiedlichsten Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Grafiker und Texter haben eine andere Rolle als ein Consultant oder das Management. Damit das Verständnis für die Aufgaben und Probleme der jeweils anderen Gruppe füreinander gesteigert werden kann, müssen die starren Grenzen zwischen den einzelnen Abteilungen aufgebrochen werden. Um zu verdeutlichen, welche Herausforderungen zu meistern sind, kann es durchaus hilfreich sein, die verschiedenen Rollen zeitweise zu tauschen. Die bei diesem Swap gewonnenen Erkenntnisse sind eine wichtige Voraussetzung, um in Eigeninitiative kreative Lösungen für komplexe Probleme zu erarbeiten. Wenn ein umfassendes Verständnis für das Gesamtprojekt erzeugt wurde, können die einzelnen Beteiligten in der Folge ihre individuellen Beiträge entsprechend anpassen.
Verkrustete Strukturen einreissen und Freiräume schaffen
Agil zu denken und zu handeln ist aber nur dann möglich, wenn die dafür notwendigen Rahmenbedingungen etabliert werden. Klassische Strukturen sind oftmals geprägt von starren Regeln, begrenzten Kompetenzen und Herrschaftswissen. Dem gegenüber steht in der agilen Organisationskultur eine offene Kommunikation, in der alle an einem Projekt arbeitenden Beteiligten ihr Wissen und ihre Erkenntnisse mit den Kollegen teilen. Dies bedeutet allerdings auch, dass Fehler offen angesprochen und gemeinsam konstruktive Lösungen gesucht werden.
Das Arbeiten auf Augenhöhe bedeutet jedoch nicht, dass auf eine ordnende Funktion verzichtet werden kann. Es bedarf auch im agilen Management einer zentralen Autorität, die Termine überwacht, die das Team zu produktiven Arbeitsergebnissen führt und dabei die Interessen des Kunden nicht aus den Augen verliert. Um die besondere Verantwortung dieser koordinierenden Instanz zu betonen, werden den Inhabern oder Inhaberinnen dieser Position in klassischen Organisationen oftmals noch besondere Privilegien zugestanden. In agilen Strukturen wird jedoch auf derartige Statussymbole komplett verzichtet. Nur so kann ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen werden, das optimale Ergebnisse verspricht.
die wahl der agilen projektmanagementsoftware
Um die Idee einer agilen Agentur erfolgreich umzusetzen, müssen nicht nur das Denken, die Arbeitsweisen und die Strukturen radikal geändert werden. In der Regel müssen auch die verwendeten IT-Programme und Tools auf ihre Kompatibilität mit den neuen Gegebenheiten überprüft werden. Durch die grundlegende Änderung der Arbeitsweise, die Neureglung von Kompetenzen und die Reorganisation von Abläufen sind Anpassungen bei den meisten Fällen unverzichtbar. Interne wie externe Kommunikationskanäle müssen ebenso modifiziert werden wie die Instrumente zur Budget- und Stundenplanung. Unter Umständen ist es darüber hinaus notwendig, ganz neue Werkzeuge zu implementieren, die perfekt auf die Arbeitsweise und die Erfordernisse einer agilen Agentur abgestimmt sind. Kommerzielle Tools wie Confluence oder BitBucket kommen dafür ebenso in Frage wie das Open-Source-Angebot Rocket.Chat und andere IT-Lösungen. Vor der Entscheidung für eines dieser Systeme sollte jedoch immer eine grundlegende Analyse der eigenen Bedürfnisse stehen. Ausserdem muss darauf geachtet werden, dass nicht nur die optimale Lösung für firmeninterne Prozesse gefunden wird, sondern auch eine reibungslose Kommunikation mit den Kunden gewährleistet ist.
Fundamentales Umdenken erforderlich
Um eine Agentur agil zu machen, ist also in vielen Fällen zunächst einmal ein fundamentales Umdenken erforderlich. Nur wer sich von alten Strukturen und eingefahrenen Arbeitsweisen verabschiedet, wer Kompetenzen abgibt und eigenständiges Arbeiten fördert, der kann langfristig mit den Methoden des agilen Arbeitens die Effektivität steigern und erstaunliche Erfolge feiern.
Offenheit in der Kommunikation, der Verzicht auf Herrschaftswissen und Statussymbole sowie die Kooperation auf Augenhöhe mit allen an einem Projekt Arbeitenden gehören zu den Grundvoraussetzungen für eine agile Agentur. Es geht in den meisten Fällen also nicht darum, an einzelnen Stellschrauben dezente Justierungen vorzunehmen, sondern um ein radikal neues Denken. Die neue Unternehmenskultur kann jedoch nicht von oben verordnet, sondern nur in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten kreiert werden. Statt pauschaler Patentlösungen sind kreative und individuelle Modelle gefragt, die perfekt auf die jeweiligen Verhältnisse und Bedürfnisse abgestimmt sind. Neben der Umgestaltung von Organisationsstrukturen und der Neuausrichtung von Führungskompetenz darf auch die Anpassung der IT-Lösungen nicht vergessen werden. Nur wenn all diese Punkte berücksichtigt werden, kann mit den Methoden der Agilität flexibel und angemessen auf die immer komplexer und disruptiver werdenden Herausforderungen des Marktes reagiert werden.